2010-06-24

Nicht zu empfehlen.

"Im Prinzip ist jede Zeichnung eine Landkarte." Ich weiß, ich weiß, ich wiederhole mich. Aber man möge doch kurz mal ernst nehmen, was das heißt. Das bedeutet nämlich, dass eine Reihe von Kollisionen, Reibungen und Asynchonitäten im Leben an sich und überhaupt durch Zeichnung strukturiert werden können, dass Lösungen sichtbar und damit möglich werden.

Ich möchte hiermit Zeichnung ausdrücklich nicht als therapeutisches Werkzeug empfehlen, ich halte Rohrschach et al. nur sinnvoll für Leute, die nicht verstehen oder wissen, wie Assoziation funktioniert. Zeichner gehören aus ihrer Tätigkeit heraus nicht zu dieser Gruppe.

Ich möchte nur vorschlagen, Zeichnung zu begreifen als ein valides Navigationsinstrument in fast allen unübersichtlichen Angelegenheiten, UND NICHT NUR ALS KUNSTFORM!!!

Als Kunstform ist sie sehr schwer, sehr selten gute Kunst und IMMER still und leise.Und damit künstlerkarriere-untauglich. Nicht zu empfehlen.

Außer man ist Klarheit interessiert.
Außer man ist an Struktur interessiert.
Außer man ist an Problemen interessiert,
UND man ist an deren Lösungen interessiert.

Außer man ist an Kunst interessiert.

5 Kommentare:

hermann hat gesagt…

"...sehr selten gute Kunst..."---hmmm: was ist GUTE Kunst? Sind GUT und SCHLECHT nicht abhängig von einem bestimmten Maßstab, den man zu einem bestimmten Zeitpunkt anlegt? Und in einem anderen Kontext muss oder kann sich dieser Maßstab auch ein wenig verschieben?
Diese Fragen sind durchaus ernst gemeint, denn sie beschäftigen mich nicht erst seit dem Studium. Dort wusste man komischerweise sofort, was ein "schönes Blatt" sei, was "gut", was "schlecht". Guckte man dann in die Klasse nebenan, dann war der Bewertungsmaßstab bereits ein anderer.
Kommt man mit dieser Kategorisierung überhaupt weiter?
Also: welcher Bewertungsmaßstab wird hier angelegt?
Kann man eine gute von einer schlechten Polke-Zeichnung unterscheiden? Ist das wichtig?
Und: "Als Kunstform ist sie sehr schwer,..." -> Beginnt der Fehler nicht bereits da, wo man "Kunst" machen will?
"Ich möchte nur vorschlagen, Zeichnung zu begreifen als ein valides Navigationsinstrument in fast allen unübersichtlichen Angelegenheiten, UND NICHT NUR ALS KUNSTFORM!!!" -> EBEN! Genau das.
"Es gibt nicht's Gutes, außer man tut es."

gerdbrunzema hat gesagt…

Tja. Was ist gute Kunst. Ich hab noch keinen allgemeingültigen Maßstab gesehen, der funktioniert hätte. Aber daraus zu schließen, es gäbe kein Gut und Schlecht, alles sei relativ, ist ein Scheinausweg. Denn das ist eine absolute Setzung, die behauptet, nicht absolut zu setzen.
Im Gegenteil. Das Gute zu definieren (zu behaupten, meinetwegen), ist eine Aufgabe von Kunst, auch wenn man mit so einer Aussage allen postmodernen Anything-goes-Deppen vor die Füße kotzt.

Wenn man sich von Bewertungsmaßstäben umzingelt sieht (und den Eindruck kann man bekommen) dann lohnt es sich, darauf zu verzichten, einen eigenen, quasi als erläuternde Entschuldigung für die eigene Arbeit hinzuzufügen, SONDERN, schlicht die angebotenen Maßstäbe mit einem gleichsam bäuerlichen Verstand auf ihre Tauglichkeit zu überprüfen. Und dass anhand der eigenen künstlerischen Arbeit.

Eine gute und eine schlechte Polke-Zeichnung. Das ist ein gutes Beispiel für das Problem. Zunächst mal bringt die Aussage eine Vorrauswertschätzung mit (Polke) die man auch erstmal sauber argumentieren müsste (Ist Polke gut? Warum ist er gut? Inwelcher Weise ist er gut? Würde hier jetzt den Rahmen sprengen [for the record: Ich find ihn genial])

Dann müsste man polke-interne Kriterien formulieren, mit der man eine gute und eine schlechte Polkezeichnung einsortieren könnte.

Das mit dem "ich mach jetzt mal Kunst", dem "kunstmachen", oh ja, da beginnt der Fehler.

Man mache doch bitte einfach seine Sache gut, ob dass dann Kunst ist, ist in Gottes Hand...

herrmann hat gesagt…

Danke für diese prompte und ausführliche Antwort. Das würde ich 100%ig unterschreiben.
"Das Gute zu definieren (zu behaupten, meinetwegen), ist eine Aufgabe von Kunst..." --- treffender kann man Problematik und Lösung in ein paar Worten nicht beschreiben.
Und das macht, denke ich, auch das Potential der Zeichnung aus: Sie kann das alles auf eine sehr direkte, sehr persönliche und sensible Weise. Sich an Dinge herantasten, behaupten, hinterfragen, abseits auf Neben- und Hauptströmen.
"Mir geht es nicht um Formulierung als Selbstzweck, das wäre ja simple literarische Eitelkeit, ich will vielmehr mit einfachen Worten, aber glasklaren Gedanken die Leute überzeugen, daß ich nicht nur schreibe, sondern den Dingen wirklich nachspüre." So steht es auf der Rückseite der Tachenbuchausgabe von Canettis "Die Provinz des Menschen".
Viel Entscheidendes zum Thema Zeichnung steht natürlich auch in Koschatzkys "Die Kunst der Zeichnung", z.B. eines meiner "Leitzitate", an denen ich mich in Krisenzeiten immer wieder orientiere:
"Jedes Kind ergreift den Stift und zeichnet. Alles wirkt da ganz unproblematisch; das Kind erobert mit Eifer seine Welt. Und das schon lange, bevor es von den Möglichkeiten seiner Intelligenz Gebrauch macht. Bevor ihm also irgendwelche Belehrungen zuteil werden, über die zeichnerische Konstruktion der orthogonalen Projektion etwa und über die Verzerrung der Gegenstände im perspektivischen Augenschein. Bis zu diesem Zeitpunkt zeichnet es ganz und gar unmittelbar. Das bedeutet: dadurch, daß es sich so die Gegenstände der Außenwelt gegenwärtig macht, bewältigt es durch solches Erfassen seine inneren Erlebnisse. Es stellt sie außen hin. Und genau das heisst für immer zeichnen."
Also eigentlich ganz einfach...

gerdbrunzema hat gesagt…

Hach! Danke für das Koschatzly-Zitat!!
Ja, das gehört definitiv in den Notfallkoffer.

Sie erlauben, das ich das auf meinem Tumblr-Dings zitiere?

herrmann hat gesagt…

Klar! Solche Worte gehören verbreitet!