2009-06-30

Wo denn nun!

Es gäbe grade viel zu zürnen. Über die mittelgroße Politik unserer lieben Familienministerin hier in Deutschland. Über diverse private große und kleine Angelegenheiten. Aber ich habe meinen Zorn abgegeben. Das bearbeitet jetzt jemand anders.

Deshalb möchte ich auf ein wichtiges Thema zu sprechen kommen. Sehr wichtig. Und meiner eigenen Weltfremdheit keinen Schrecken einjagend sondern beruhigend auf sie einflüsternd.

Es treibt mich schon eine ganze Weile die Frage herum, wo Kunst stattfindet. Da ich mich selber der Zeichnung und der Malerei mich verpflichtet fühle und in diesen Techniken schon eine lange Weile versucht wird Kunst zu produzieren, so lange, dass nicht wenige Leute, denen ich professionell begegne, ganz selbstverständlich davon ausgehen, dass nur in diesen Techniken (und Skulptur) überhaupt Kunst stattfände (ermüdend, das); da ich mich also diesen Disziplinen verpflichtet fühle, treiben mich medientheoretische Fragen, insbesondere das Internet betreffend, durchaus um.

Es ist nämlich wie mit den Kühen für Stadtkinder: Wieviel an Kunst nehmen wir "direkt" wahr? Und vorher: Was ist "direkt".

Ich komm getz ma mit Malerei.

Noch in den späten 80er Jahren des letzten Jahrtausends war es fast unbezahlbar, farbige Abbildungen von Kunstwerken (Malereien in dem Fall) zu publizieren. Kataloge gabs nur für Großereignisse wie die Documenta, und da auch nicht durchgängig, nur wenige Abbildungen waren aus Kostengründen farbig. Und eigentlich waren die nicht farbig, sondern bunt...

Nicht so heute. PDF zu BookStation oder Lulu oder irgendeine andere online-Buchdruckerei, und man bekommt ein anständiges Werksverzeichnis/Katalog/Kunstbuch zurück. Kost zwar was Geld, aber ist bezahlbar.

Webseiten gibt es seit den 90ern. Flickr, picasa, photobucket, etc seit ca 2000. Weblogs, Socialnetworks, Foren, Communitiy unwattnichall gibt es erst seit ein paar Jahren.

Sie alle haben einen Effekt. Man schaut Photos oder Scans von Sachen an, die als Kunst gemeint sind. Diese Photos und Scans sind nicht als Kunst gemeint. Oder doch? Oder wie?

Unterm Strich ist es etwa so häufig, dass man eine reale Kuh sieht, wie man ein reales Gemälde sieht.

Die gesamte Kunsttheorie/Medientheorie/Interpretationsindustrie bezieht sich auf und rechtfertigt sich mit REPRODUKTIONEN von Kunst-gemeinten Dingen. Aber nicht den Dingen selber. Ein minimaler Prozentsatz Leute, die über Vermeer reden, haben die Bilder gesehen und Diskutieren etwa über sie vor Ort. Geht ja auch gar nicht. Da hats die Literatur oder Musik leichter, sie ist ortsunabhängig wahrnehmbar. Man muss nur lesen oder hören. Kunst hat immer einen Ort und kann eigentlich original nur dort wahrgenommen werden und sonst nicht.

Oder doch? Ist es nicht so, dass sich die Kunst und die Diskussion über Kunst sich soweit virtualisiert hat, das der reale Kunstgegenstand nurmehr eine (ok, notwendige) Vorraussetzung, ein Anstoß ist? Etwa so wie ein Filmset für die Filmproduktion notwendig ist, aber nicht etwa als Installationskunst gemeint und wahrgenommen wird.

Ich sehe so viel hypergeniales Zeug im Internet. Genau. Eben. Im Internet. Kaum etwas davon habe ich jemals offline gesehen. Und, hahaha, auch da meist nur als Print-Katalog.

Das Original wird also irrelevant. Oder doch nicht?

Die entscheidende Frage ist: Wo, an welcher Wahrnehmungsstufe konstituiert sich in der Betrachterwahrnehmung das Kunsterleben? Wenn ich das JPG auf der Internetseite auf meinem (nicht farbkalibrierten) Monitor sehe? Im Katalog? Das Bild beim Atelierbesuch? Beim auspacken des Pakets/Briefumschlags? An der Wohnzimmerwand? Im Museum/Kunstverein/in der Galerie?

Das ist insbesondere dann eine entscheidende Frage, wenn man mit dieser Problematik künstlerisch arbeiten will, d.h. nicht die Malerei auf der Leinwand, sondern die Tatsache, das ein JPG-Photo dieses Gemäldes im Internet auf einer Homepage oder (und das ist etwas anderes!!) auf flickr oder in einem Themenforum existiert, soll das kunststiftende Moment sein.

Zumal die reproduzierte Wirklichkeit in Form von Filmen und Photos derart überhand genommen hat, dass man an der Reproduktion als GROSSER Bestandteil der Alltagswahrnehmung überhaupt nicht vorbeigehen kann. Denn ma ehrlich: Wieviel reale Dinge außerhalb von Urlaubssituationen nimmt man wirklich ästhetisch (und damit potenziell als Kunst) wahr? Also nix Fernsehen, Zeitung, Bildbände etc. ? Na?? Nich soo viel, oder?

Im Barock gab es noch den Gegensatz von Naturschönheit und Kunstschönheit. Wir kennen Naturschönheit nur noch im Urlaubsfoto, aber nicht als Alltagserfahrung. Mit einer Außnahme: Street Art, die das urbane reale Leben zum ästhetischen Gegenstand hat. Prompt schaut man sich Häuserwände als ästhetisches, kunstfähiges Phänomen an. So wie "het straatje" von Vermeer...
Und darauf kommt man nur, weil man im Internet Seiten findet, die einem das nahelegen.

So kommt man zu einer extrem verwirrenden Gemengelage, in der einem dann allmählich klar wird, dass sich IM BETRACHTER aus der Mixtur der Verschiedenen reproduzierten Informationen plus eventuellem Realerleben ein Gesamtbild ergibt, dass dann für Kunst (gute oder schlechte) gehalten wird oder nicht. Und Online und Offline spielen sich dabei die Bälle zu, das man nicht weiß wo und wie man dazwischengrätschen soll.

Es ist vielleicht vergleichbar mit dem erleben von Musik, erst im Radio oder Fernsehen oder Myspace, last.fm oder wasauchimmer, dann irgendwann Livekonzert und dann weiß man, ob das nu gut ist oder nicht, und leider funktioniert der Vergleich überhaupt nicht. Denn Musik ist (auch) ein Sozialphänomen, Musik und Literatur nur bedingt, zu Marketingzwecken, aber nicht einfach so aus sich heraus. Mit Kunst als Sozialphänomen fang ich jetzt hier nicht mehr an, weil ich dazu keine Lust habe.



So und was heißt das nun für die gemeine Hausfrau?

Bitte immer selber gucken. Bitte immer so vielfältig wie möglich (oder nötig, je nach Interesse) gucken.

Überhaupt gucken.

7 Kommentare:

blaumann hat gesagt…

Das druck ich mir jetzt mal aus. Dieser Text ist vielschichtig. Muss ich mit auf mein Sofa nehmen und studieren. (Aber zu der Naturschönheit - also das seh ich anders. Ich sehe Naturschönheit wo ich geh und steh.)
vielleicht nähe ich den ausgedruckten Text in die Strudlhofstiege mit ein, nach dem Studieren??
Vielen Dank für viele Anregungen!

Armin hat gesagt…

Da steckt vieles drin, was mich gelegentlich & gedanklich auch so umtreibt – was ich dann aber auch geflissentlich ausklammere – z. B. meine Dokumentationen im Netz betreffend.

Wann ist Kunst?

Auch eine Frage?

gerdbrunzema hat gesagt…

@blaumann: Hihi, noch ein Medienübergang, diesmal zurück zum Papier.
Ja, das mit der Naturschönheit ist sicherlich abhängig von dem eigenen Umgang mit Natur (Ich seh ja die vielen JPG-Dateien in deinem Weblog...).

Für die meisten Menschen ist Naturerfahrung aber organisierte Freizeitgestaltung (und wenn es nur ein Waldspaziergang ist) in den "Naherholungsgebieten". Nur wenige haben einen alltäglichen, selbstverständlichen Umgang mit der Natur. Sonst gäbe es ja den Naturtourismus und die Ökobewegung ja nicht...

Vielleicht muss man das einschränken auf Stadtmenschen, die auch als Stadtmenschen geprägt sind. Aber mit der Zunahme der Medienvielfalt und dem immer selbstverständlicheren Benutzen dieser Medien (Vermittler, wie der Name schon sagt) geht für viele der direkte Kontakt zu anderem als Nahrung und Kleidung, naja, nicht verloren, aber dessen Wichtigkeit verblasst einfach.

@Armin: Also was Kunst ist, frag ich mich lieber nicht mehr so allgemein. Ich hab mich darauf verlegt, am konkreten Gegenstand zu klären, ob ich den für Kunst halte, und, wenn ja, ob das denn gute Kunst ist. Damit komme ich vorläufig am besten zurecht. Ist nicht perfekt, aber funktioniert als Methode, zumal es zwingt, immer wieder zu gucken, und sich nicht auf Lehrsätze und Definitionen zu verlassen.

Mir fällt im Moment auf, wie kraus und wirr ich manchmal formuliere. Der Text ist ein gutes Beispiel dafür. Ich war aber auch müde und genervt. Ich muss da mehr drauf achten, hab ich das Gefühl.

Armin hat gesagt…

Ich meinte: wann – nicht: was ist Kunst – die Frage ist ja langweilig.

Leider bin ich ja nach wie vor gefesselt & geknebelt an Malerei & Zeichnung.

Aber rings um mich herum entstehen täglich sooo schöne Sachen.

Wenn ich die manchmal fotografiere, bin ich ja wieder bei der Dokumentation & ich habe ja tiefes Misstrauen gegen Kunst, die nichts tut, als dokumentieren. Außerdem: Ist das Foto dann auch Kunst?

Wenn ich sie ausstelle, die Sachen, bringe ich sie wieder in einen konventionellen Kontext. Ab in die Galerie! Also: Kunst.

Schmeiß doch mal die Mona Lisa auf eine Müllhalde. Dann ist sie wahrscheinlich keine Kunst mehr, sondern Müll – Abfall.

Während das Mona-Lisa-auf-den-Müll-schmeißen ja eine künstlerische Handlung sein könnte – in diesem Moment. Eine Performance.

Einfacher ist es schon mit dem Müll, der, sagen wir mal, in der Mainzer Straße in Saarbrücken in der Zeit vom dritten bis zum vierten Juli anfällt; den Du mit der Schubkarre in eine Galerie fährst: das kann sehr schnell Kunst werden.

Ich glaube, wann & wo – das ist wichtig – weniger: was …

Das macht ja die Beurteilung von Sibylles' Arbeiten für Konventionsbeurteiler die Sache so schwer:

Bilder bringst Du irgendwo hin & hängst sie an die Wand. Das sieht unter Umständen sehr wichtig aus.

Aber schöne gestickte Arbeiten in genähten Büchern, lieblos auf einen irgendwie Tisch gestapelt, weil es ist grad nix besseres vorhanden & überhaupt – da stimmt schon mal nicht das „wo“ & auch nicht das „wann“.

Alte Männer blättern irgendwann lustlos zwischen den Stapeln & werden das vielleicht überhaupt nicht nicht verstehen, obwohl sie es doch offensichtlich begreifen.

Ich schweifte aus …

blaumann hat gesagt…

Ich hätte also diese Heizungskeller-Zeichnung auch ausdrucken können, oder den schwebenden Reinhard. Was macht den Unterschied aus? Muss ich noch drüber nachdenken.

gerdbrunzema hat gesagt…

Das ist eine sehr interessante Frage, die zu dem Medienaspekt noch den Aspekt von Original und Kopie hinzufügt. Abgesehen davon, das die Druckqualität der Grafik auf meiner Seite nicht ausreichen würde, wäre es zu überlegen, ob das Interessante an der Zeichnung für dich in der Bildschirmansicht, dem Ausdruck aus dem Internet oder dem zugeschickten Original war. Und warum du es als Original (ich bringe mich hier gerade um ein Geschäftsmodell, ich weiß...) haben wolltest. Du kannst es ja auch jederzeit im Internet anschauen. Oder eben ausdrucken.

Sehr kompliziert, das. Und einfach.

blaumann hat gesagt…

Vielleicht als Spekulations-Kunst? Wird mal im Wert enorm steigen. Und ich habs rechtzeitig als Schnäppchen gekriegt ...