"Ich bin unglücklich."
"Warum sind Sie denn unglücklich, Frau E.?"
"Keiner sagt mir bescheid! Keiner! Dabei gehöre ich doch gar nicht hier her, glaube ich. Ich weiß auch nicht! Aber keiner sagt mir bescheid!"
"Frau E. ich werd mal fragen, was da los ist, aber jetzt sag ich Ihnen schon mal, das Sie hier malen können, wenn sie wollen."
"Ach, ja, Sie sind der Maler! Aber das nützt ja auch nichts. Wissen Sie, ich bin sehr unglücklich."
Frau E. hat, als ich sie kennen lernte, sehr lebendig von der "Entartete Kunst"- Ausstellung erzählt, die sie als junges Mädchen gesehen hatte. Sie malte sehr schöne Nolde-artige Blumenaquarelle, wie ältere Damen das gerne tun. Angebotene Hilfe (soll ich Ihnen das vorzeichen?) quittierte sie mit eisigem Schweigen.
Vor einigen Monaten wirkte sie müde. Nur noch ein Aquarell statt vier. Die Formen zerfielen zuerst, Blütenblätter machten sich selbstständig, Stängel endeten nicht mehr genau in einer Blüte. Und die Ergebnisse ihrer Bemühungen machten ihr einen Zorn, den sie an anderen Bewohnern ausließ, die schon recht weit im Nebel waren.
Dann, einige Wochen später, war Grün nicht mehr richtig Grün, Blau nicht mehr richtig Blau und Gelb nicht mehr richtig Rot.
Braun wurde die Lieblingsfarbe für alles ("Ja, ich male jetzt Ton in Ton." "Gut, Frau E.").
Das war sehr praktisch, weil sie auch begann, alle Formen einfach übereinander zu malen. Das wird selten was anderes als Braun.
Dann, ein, zwei Wochen später, malte Frau E. nur noch die linke Hälfte des Blattes an. In allen Farben, erlöst von Form, die bedeuten soll, erlöst von Farbe, die bedeuten soll.
Das sah ich, und dachte an eine Geschichte von Oliver Sacks. Das Bild ist jetzt in der Krankenakte von Frau E.
Ach ja, und das ist Onkel Arnold. Via
Frau S. lebt übrigens immer noch und ist sehr guter Dinge.
2007-12-05
Onkel Arnold und Frau E.
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2 Kommentare:
Ich gehörte bereits zu jenen, die nie bescheid sagten, die immer Schuld hatten, dass sie hier war, wo sie nicht hingehörte. Malen wollte sie schon gar nicht mehr, nicht Ton in Ton, gar nicht mehr. Dann weinte sie. Ja, sie wollte lieber nach Hause, weg von mir. Warum sind meine Möbel in dieser Wohnung? Ich hatte Schuld, immer. Dann weinte sie nicht mehr sondern schimpfte auf diese bösen Menschen. Unglücklich war sie auch, als sie für ein paar Sekunden merkte, das irgendwas nicht stimmte, mit ihr oder doch mit mir oder irher Wohnung oder den Fremden Enkeln, Kindern, die da alle eben noch waren, huch, weg, wer sind die da? Was die bloß wieder wollen? Sie wollte nach Hause. Wieder Angst.
Diese Krankenakte wurde geschlossen.
Wenn man, wie Sie offensichtlich, verwandt (klassischerweise Sohn oder Tochter) oder eng befreundet ist/war mit jemandem, der allmähmich verblasst/dem allmählich alles verblasst, dann ist das sicherlich sehr schmerzhaft. Insbesondere, wenn man Zielscheibe für alle Ängste und Frustrationen (und die müssen gigantisch sein, wenn man sein Leben so zu Ende führt) wird.
Es ist aber gut zu wissen, das man in solch einer Funktion eine große, eine wichtige Entlastung ist (auch wenn das nicht sichtbar wird). In den seltener werdenden klaren Momenten des Wobinichhier?! Bringtmichhierweg!! Ichgehörehiernichthin!!! sind verständlicherweise Angst und Wut (also Panik) die vorherrschenden Gefühle. Diese Gefühle anzunehmen (das also derjenige sie loswerden kann) ist oft schwer, gerade den eigenen Eltern gegenüber. Sie haben das ja offensichtlich gemacht.
Da haben Sie meine Respekt. Ich weiß nicht, ob ich das bei mir nahe stehenden Personen so könnte.
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