2008-10-17

LCA.

Neulich habe ich eine neue Abkürzung gelesen.

LCS.

Das soll für "life-changing-sex" stehen (Hallo Suchmaschinen dieser und der anderen Welt! Sex, Sex, Sex, SIEBEN!!!).

Ich möchte nun leider in diesem Weblog nicht ausführlich über die Sieben schreiben, aber das hat mich auf eine Idee gebracht.

Denn das ist ja einer der Ansprüche, die Kunst/Musik/Literatur/Film/Theater/ZEICHNUNG/Ballet/Jojo hat, nämlich vielleicht nicht immerundüberall, aber dennoch manchmal den Umgang mit der Welt/dem eigenen Leben zu ändern.

LCA sozusagen, life-changing-art.

Da möchte ich mal einige nennen, die das für mich geleistet haben.

Könnte etwas länger werden, hier.


Also mit scrollen, diesmal.



Also:

-Malerei von Vermeer.

Der ist ja sowieso der Ober-Top-Weltmeister-Champion des Universums UND der Welt, da erübrigen sich alle Erläuterungen.
It works on so many levels.

Und wer nicht weiß, wer Vermeer ist, wird von mir gehauen. So.

Und, ich mache, gerne, noch mehr, sozusagen, Kommatasse, weil, ich bin sauschlecht, in Zeichensetzung;


-C.D. Friedrich.

Der hat ein paar Sachen gemacht, die einfach Bilder sind. Ein Bild im kunsttheoretischen Sinne, das sei zur Erläuterung eingestreut, ist eine Darstellung, die sozusagen archetypisch Welterfahrung kathegorisiert. Oder so. Ik mach euch mal ein Beispiel. Der Mönch am Meer. Das zeigt etwas derartig deutschtief-ernstromantisches, das vielleicht Rilke mit Worten ungefähr sagen kann. Vielleicht.

Oder auch Frau im Fenster.
Der hat einfach für komplexe menschliche Befindlichkeiten klare und einfache Bilder gefunden. All diese Dinge eben, von denen man denkt, nur man selber kann so fühlen, die anderen sind alle doof. Etwas sehr wichtiges sagen die Bilder dazu. Nämlich, das es allen so geht. Ergo, die andern doch nicht doof sind.

UND. Der ist, NEIN IST ER NICHT, niemals wirklich Kitsch. Aber das Vorlagenparadies der Produzenten für den Kitschmarkt.


-Aquarelle von Hopper.

Der hat etwas geschafft, was ich sonst kaum wieder gesehen habe: Ganz normale realistisch/gegenständliche Darstellungen, und man denkt die ganze Zeit über abstrakte Farbkompositionen und psychologische Untiefen im Leben allgemein und im eigenen Leben im Besonderen nach.

Kein Wunder, das Hitchcock reihenweise dessen Bilder nachgebaut hat. Hoppers Sachen kommen hinterhältigerweise viel harmloser, undramatischer und beiläufiger daher als die Bilder von C.D. Friedrich.


-Die (mittleren bis späten) Bilder von Mark Rothko.

Die mit Schwamm gewischten groß- und mittelformatigen Bilder (kürzlich in der Hamburger Kunsthalle retrospektiv ausgestellt) sind vermutlich geeignet, einem Menschen, der mit Religion nix anfangen kann, ungefähr anzudeuten, worum es da gehen sollte/könnte. Rothko (meines wissens nichtreligiöser Jude, bin mir aber nicht sicher) hat Bilder gemacht, die eine Intensität in den Betrachter träufeln, die, vermute ich, ein orthodoxer Christ bei der Ikonenverehrung sucht.
Aber man muss sich auf sowas einlassen. Das können auch einfach ganz dumpf zu groß geratene Musterkarten für Restaurant-Wandgestalter sein. Es wäre für mich ein Aufwand, die Bilder so zu sehen (und ich bin nicht bereit, den zu leisten), aber ich habe Menschen kennengelernt (und das waren keine Dumpfbacken), bei denen das so ist.


-Zeichnungen von Rembrandt.

Interessanterweise nicht von Picasso, obwohl ich die supergenial finde. So wie bei Dürer, da ärgert es mich, das mich die einfach nicht umhauen. Ich WEISS, das die genial sind. Trotzdem. Irgendwie nicht. Da kann ich mich auf den Kopf stellen.

Die Zeichnungen von Rembrandt sind in einigen Aspekten das an Perfektion reichende Optimum, was mit dem Medium machbar ist. So eine Ökonomie der Mittel. So einfach und so Komplex. So geil.


-Zeichnungen von van Gogh.

Die sind Schlachtfelder des Kämpfens um Wiedererlangung des psychischen Gleichgewichts, angesichts einer Herrn van Gogh offensichtlich völlig umwerfenden Welt.

Viele kennen die Zeichnungen nicht. Das Internetz kennt die auch nur flüchtig. Sind aber weltwichtig.


-Zeichnungen und Malerei von Cy Twombly.

Als ich den zum ersten mal gesehen hatte, dachte ich "Nee". Und dann dachte ich "Nee, doch".

Alles abstrakt, und doch ist sofort klar, worum es geht. Nein, das stimmt nicht. Jedenfalls nicht auf eine konkrete Weise. Eher so irgendwie, aber das ganz genau.

Ähm. Jedenfalls, eine unglaubliche, intuitive Präzision. Da fängt einer immer wieder bei Null an, die Welt zu verstehen, die da drinnen und die da draussen.

Und bitte: Niemals, NIEMALS Skulpturen von dem angucken. Kein weiterer Kommentar. Just don't do it.


-Alles von Gerhard Richter.

Das ist alles so furcherregend intelligent. Und auf so intelligente Weise furchtlos. Die Spiegel. Die Rakelbilder. Die bemalten Photos!!! Die Zeichnungen.

It works on so many levels. Aber hardcore.


-Banksy.

Doch. Auch wenn es mittlerweile schick ist, den doof zu finden. Der ist richtig gut. Das ist einer der wenigen, die politische Kunst machen, die mich nicht gähn...


-Santiago Serra.

Eine Synagoge in Deutschland unter Autoabgase zu setzen und mit Gasmasken die Räume als Ausstellung zugänglich zu machen, ist schon, ähm, heavy. Und der ist nicht nur Krawall-Effekthascher. Schon am Rande, aber, nee, doch.

Es gibt noch ein paar andere, die mich echt gehauen haben. Aber das wird zu viel. In der Tendenz, denke ich, hab ichs mehr mit den Gegenständlichen. Wenn abstrakt, dann aber schon irgendwie mit einer konkreten Aussageabsicht. Formalakrobatik und Wissenschaftlichkeitissmus ist nicht so meins. Also Mondrian, zum Beispiel, finde ich sehr gut auf Haarspraydosen. Oder Vasarely als Autologo-Designer. Aber von Kunst würd ich da nur eingeschränkt reden.


Ich könnt jetzt ja wider den Stachel löcken und behaupten, das sei ein Stöckchen. Is es aber nicht. Aus Rücksicht auf die mittlerweile selbstverständlich verpflichtende Ansicht, Stöckchen seien total nervig und öde. Und wer will schon nervig und öde sein. Ich nicht. Nein.

(Weiß zufällig jemand, was "wider den Stachel löcken" genau bedeutet? Ist das was versautes? Oder wie?)





Edith: Oweia. Ich habe Jean Michele Basquiat ausgelassen. Der hat etwas, was ich grenzenlos beneide. Der hat einen so direkten Draht zu sich, wie ich das bei niemanden sonst gesehen habe. Außer bei psychisch Kranken. Aber das ist eine andere Geschichte.

4 Kommentare:

Armin hat gesagt…

… die Liste könnte ich in aller Demut kopieren, am liebesten den ganzen Artikel – die Geschichte mit Picasso spüre ich auch so, merkwürdig, obwohl er ja Absolut-Zeichner war; auch in seiner Malerei nicht immer der Malerischste – & Vermeer stürzte mich vor kurzem wieder in tiefste Traurigkeit & Depression über die eigenen Unzulänglichkeiten & Begrenztheiten … achja, im Moment bin ich Weltmeister im Radieren – zeichnen ausradieren, zeichnen ausradieren, zeichnen ausradieren – sowas von weit weg von der Kunst …

gerdbrunzema hat gesagt…

Ach ja, Radierungen, ich kenn das.

Ich quäl mich gerade mit Aquarell ab. Was ist das ein wunderbares Material.

WENN ES BLOSS NICHT SO ZICKIG WÄRE !!!!!!!

Und radieren kann man das auch nicht.

Ich hab ja den Verdacht, das Kunst so eine Art Abfallmaterial von verzweifeltem Fleiß ist. Und ich kippe gerade in eine faule Phase...

Daher die wichtigst Maxime: Einfach dumpf weitermachen.

Anonym hat gesagt…

Gemälde sind bei mir weniger LCA als ich hier vielleicht glauben mache, aber: in ersten jungen Mädchenjahren mich wirklich stark beeindruckt und beeinflusst hat

http://www.bildungsserver.at/faecher/be/b604.jpg

sowie daraus folgend:

http://www.koenig-plauen.de/Metachess/Images/0349.jpg

Sonst hab ich bei Malerei definitiv einen hang zum Manieristischen, also: George de Latour, El Greco, Caravaggio, Boecklin, sowas.

gerdbrunzema hat gesagt…

@roland: In der Kunsthochschule gab es immer den Kalauer "Ich muss mal in den Duchamps-Raum", wenn man mal für kleine Jungs...

Der Marcel ist die andere Hälfte der Weiche an der Moderne. Eine Seite Picasso, saftig, sinnlich, ans lächerliche grenzende Massenproduktion und a bisserl bleede, andere Seite sauintelligent, sehr kopfig, ziemlich knäckebrotig und nur alle paar Jahre ein Geniestreich, der einen still werden lässt.

Was mich an dem störte, war, dass man mit dem Zeug zwar seine Kumpels beeindrucken konnte, aber nicht die Mädels. Das war damals (röhöm) ein nicht unwichtiges Kriterium.

Und, das ist wie bei Rothko. Das kann man nicht nochmal machen, ohne ganz schlimme Vollobstigkeit an den Tag zu legen.

UND das ist wie bei John Cage. Toll, genial, superwichtig, sehr grossartig, dass es das gibt.

Aber auch schön, dass es noch andere gibt...

Um nicht missverstanden zu werden: Ich bin kein Picasso-Fan. Allein schon, weil soo viele Leute, die ich Scheiße finde, Reiten, Lesen und Picasso als ihre Hobbys nennen.

Duchamps mit weniger Knäckebrot und sehr viel mehr Wut oder anderes passendes Gemüt und ich bin glücklich.

Haach, und Kerzen-de la Tour ist ja auch was Feines. Allein schon, weil der Jahrhunderte lang nicht existierte, und man die Bilder für Vermeers gehalten hat...